Forschung
Digital Cultural Heritage, computational Narratology und digitales Storytelling, Computational Literary Studies, Public Humanities – diese Schwerpunkte, werden unter kulturell ausgerichteten Leitfragen in den Regensburger Digital Humanities zusammengebracht. Ausgangspunkt ist dabei immer eine fundierte theoretische Auseinandersetzung mit dem Phänomen, das im Zentrum des Interesses steht. Diese Forschung findet aber nicht im Elfenbeinturm und fernab der Alltagsrealität statt, sondern wird im Rahmen umfangreicher Wissenschaftskommunikation für Interessierte geöffnet. Wer sich sehr für literatur- und kulturwissenschaftliche Themen interessiert, kann bei einigen Projekten sogar mit dabei sein. So verfügt zum Beispiel das Projekt m*w zur Erforschung von stereotypen und nicht binären Genderdarstellungen über eine Public-Humanities-Komponente, bei der Titel von Texten für das Forschungsprojekt vorgeschlagen werden können, in denen Figuren vorkommen, die nicht klar in ein binäres Genderschema passen. Einen Überblick über Leitfragen und mögliche Themen im Rahmen der Schwerpunkte der DH-Regensburg finden Sie in der folgenden Grafik zusammengefasst:
Die verbindende Idee aller oben genannter Forschungsinteressen ist: Kulturelle Artefakte (ob in mono- oder multimedialen Korpora zusammengefasst) können immer mit Narrativen in Verbindung gebracht werden, die die historische und / oder zeitgenössische Kultur prägen und die mithilfe von Theorien modelliert und erforscht werden können.
Ein inhaltlicher Schwerpunkt gehört zum Bereich der Digital Gender Studies. Im Projekt m*w, das in Kooperation mit der Universität Hamburg durchgeführt wird, wurde z.B. ein Tool entwickelt, mithilfe dessen Genderrollen in literarischen Texten automatisch erkannt und den Kategorien “männlich”, “weiblich” und “neutral” zugeordnet werden können. Derzeit wird dieser sogenannte Classifier so weiter ausgebaut, dass auch non-binäre, queere oder anderweitig als ‘divers’ zu bezeichnende Genderrollen erkannt werden können. Die Toolentwicklung basiert auf einem Modell, das mithilfe von theoretischen Betrachtungen zu Genderrollen erstellt wurde. Im m*w-Projekt wurden bereits Novellen, Romane und Dramen auf ihre Genderdarstellungen hin untersucht. In diesem Kontext entwickeln wir einerseits Perspektiven auf kanonische Texte und versuchen andererseits den Kanon zu erweitern, indem wir Texte berücksichtigen, die bisher noch nicht Teil der literaturwissenschaftlichen Forschung waren.
Ein weiteres inhaltliches Forschungsinteresse sind ökokritische Studien: Mithilfe digitaler Methoden untersuchen wir, inwiefern Naturbeschreibungen und Konzepte der Nachhaltigkeit in literarischen Texten vorkommen. Dabei ist auch von Interesse, wann Ideen der Nachhaltigkeit sich erstmalig zeigen. Dazu nutzen wir einen literaturhistorischen Ansatz, mit dem Texte aus unterschiedlichen Jahrhunderten betrachtet werden können. Auch hier ist die Automatisierung der Erkennung narrativer Phänomene ein wichtiger Bestandteil. Wieder kommen Methoden des maschinellen Lernens zum Einsatz und sowohl kleine Sprachmodelle und überwachte Lernverfahren werden eingesetzt als auch große Sprachmodelle, die auf Routinen des Deep Learning zurückgreifen.
Im Rahmen der Wissenschaftskommunikation stehen die DH Regensburg in einem stetigen Austausch mit der Forschungscommunity und der interessierten Öffentlichkeit. Zusätzlich zum Betreiben dieses Blogs und von Social-Media-Accounts z.B. auf Twitter oder Instagram wird auch der RaDiHum20-Podcast, das Radio für Digital Humanities an der Universität Regensburg mitbetreut. Der Podcast erfreut sich großer Beliebtheit in der Digital-Humanities-Fachcommunity und hatte bereits Digital Humanists sämtlicher Karrierestufen zu Gast – von Studierenden bis hin zu Vorstandsmitgliedern des DHd-Fachverbandes, des Verbandes für digitale Geisteswissenschaften im deutschsprachigen Raum.
Lehre
Die Arbeit in den Digital Humanities ist teamorientiert und setzt den Gedanken um, dass unterschiedliche Interessen und Kompetenzschwerpunkte zusammenkommen und genutzt werden. Dieser Gedanke findet sich auch im Seminarangebot des MA-Studienganges Digital Humanities an der Universität Regensburg wieder. Die gemeinsame Studiengangsleitung der Lehrstühle Medieninformatik und Informationswissenschaft sowie der Professur für Digital Humanities führt zu einer Vielfalt unterschiedlicher Seminarangebote von der Einführung ins Programmieren bis hin zu inhaltlich ausgerichteten Seminaren wie z.B. auch zu Digital Gender Studies und Environmental Humanities. Bereits im Studium werden die MA-Studierenden also interdisziplinär ausgebildet und lernen, sich in unterschiedlichen Fachkulturen zurechtzufinden. Studierende der Digital Humanities entwickeln wertvolle Schnittstellenkompetenzen und neben einer Fülle von Fachinhalten auch eine Reihe von Soft Skills.
Zusätzlich zu klassischen Seminarformaten werden in unregelmäßigen Abständen Summerschools und Hackathons angeboten, bei denen Studierende im Team projektorientiert ihre eigenen Stärken einbringen und ausbauen können. Die Studierenden erarbeiten sich Planungs-, Methoden- und Kommunikationskompetenzen ebenso wie inhaltliche Einsichten in einem Prozess des forschenden Lernens.
Eine Besonderheit des MA-Studiums Digital Humanities an der Universität Regensburg besteht darin, dass auch Inhalte und Techniken der Social-Media-Wissenschaftskommunikation vermittelt werden. Darin liegen zwei große Vorteile:
- Soziale Medien wie z.B. Twitter und Mastodon machen es möglich, sich auf informelle Weise mit der DH-Forschungs-Community zu vernetzen, um sich über aktuelle Themen der Wissenschaft zu informieren.
- Die ständige Entwicklung neuer Formate und Plattformen ermöglicht es, die eigene Forschungstätigkeit so aufzubereiten, dass auch eine interessierte Öffentlichkeit dafür begeistert werden kann.
Auch hier gilt: Die Interessen und Kompetenzen der Studierenden und Nachwuchswissenschaftler*innen stehen im Mittelpunkt. Die Kompetenzvermittlung erfolgt dynamisch und auf die jeweiligen Studierendengruppen abgestimmt. Unabhängig vom medialen Format (Text, Audio, Video) steht dabei die Konzeptarbeit im Vordergrund: Die Studierenden lernen planvoll und zielgerichtet und unter dem Leitbild des Storytellings ihre Inhalte aufzubereiten.
Geschichte der Digital Humanities an der Universität Regensburg
Bereits in den Anfangsjahren der Universität Regensburg lassen sich Aktivitäten im Bereich der nicht-numerischen Datenverarbeitung in Forschung und Lehre nachweisen. Abbildung 1 zeigt die ersten derartigen Lehrveranstaltungen aus dem Wintersemester 1971/72 durch den späteren Professor für linguistische Informationswissenschaft, Jürgen Krause.
Die Etablierung von Fächern mit Bezug zur angewandten Informatik hat insofern eine lange Tradition, die sich mit der Informationswissenschaft erst als Teilstudienfach dann als eigenes Studienfach fortgesetzt hat. Dieser Bereich wurde mit zunächst einer Professur für Medieninformatik (2000 / 2003) sowie entsprechender Studiengänge (Medieninformatik B. A. seit 2011, Medieninformatik M. Sc. Seit 2013) in den letzten Jahren kontinuierlich ausgebaut.
Mit dem Institut für Information und Medien, Sprache und Kultur (I:ISMK) sowie durch das 2-Fach-BA-System sind heute sehr gute Voraussetzungen für interdisziplinäres Arbeiten in den digitalen Geisteswissenschaften gegeben. Diese wurden durch den Ausbau des I:ISMK seit 2006 durch weitere Professuren in den Bereichen Informationswissenschaft / Informationslinguistik verstärkt. Formal etabliert wurden die Digital Humanities durch ein entsprechend benanntes Studienmodul, das sowohl im Masterstudium der Informationswissenschaft als auch der Medieninformatik als Vertiefungsschwerpunkt gewählt werden kann und sich seit 2012 starker Nachfrage erfreut. Mit der Juniorprofessur Digital Humanities, die 2023 ins Leben gerufen wurde, wird der Fachbereich weiter institutionalisiert und ausgebaut.
Wenn Sie mehr über unsere Arbeit erfahren möchten, wenden Sie sich gerne an Mareike Schumacher, die seit April 2023 die Juniorprofessur für DH innehat (E-Mail: vorname.nachname@ur.de).
Hinweis: Der Absatz zur Geschichte der DH in Regensburg wurde zum Teil entnommen aus:
Burghardt, M. & Wolff, C. (2014).“Digital Humanities: Buzzword oder Strukturwandel der Geisteswissenschaften?“. In Blick in die Wissenschaft – Forschungsmagazin der Universität Regensburg, 23(29), S. 39-47. (Preprint als PDF)