Studierende zeigen Vielfalt der Digital Humanities in Regensburg

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“From methods to analysis” unter diesem Motto stand die Abschlusssitzung einer Übung zur Einführung in die Digital Humanities an der Universität Regensburg. Anlässlich dieser Konferenz-Simulation haben die Digital-Humanities-Studierenden des Seminars die Projektarbeiten, mit denen sie während des Semesters Methoden erprobt haben, ausgewertet und präsentiert. Heraus kam ein buntes Themenspektrum von digitaler Filmanalyse bis zu Betrachtungen politischer Diskurse, von Untersuchungen des Gender Gaps bis hin zu literarischen Themen der Jahrhundertwende 1899/1900. Hier bieten wir einen kurzen Einblick in die studentischen Projekte, die zeigen, wie vielfältig die Digital Humanities in Regensburg sind.

Digital Humanities in Regensburg in der Praxis

In der Übung zur Einführung in die Digital Humanities an der Universität Regensburg lernen die Studierenden eine Reihe von Basismethoden der digitalen Geisteswissenschaften kennen. Dazu gehört die digitale manuelle Annotation ebenso wie die digitale Stilanalyse, Formen des Machine-Learning ebenso wie digitale Netzwerkanalyse. Alle diese Methoden lassen sich auf eine ganze Reihe von Forschungsgegenständen anwenden und helfen, sehr unterschiedliche Forschungsinteressen und Fachperspektiven zu untersuchen. So waren an der Projektarbeit in diesem Semester nicht nur Digital-Humanities-Studierende beteiligt, sondern z.B. auch welche aus der Public History, den Informationswissenschaften und den Medienwissenschaften. Die Themenvielfalt spiegelt sich in den insgesamt fünf Tracks der Konferenz-Simulation ebenso wider wie ein besonderer Interessenschwerpunkt der Studierenden bei der digitalen Filmwissenschaft.

Track 1: Digitale Filmanalyse

Sprechende Männer, schweigende Frauen?

Die erste Projektgruppe widmete sich der Analyse von insgesamt sechs Drehbüchern von drei sehr bekannten Autor*innen, nämlich Christopher Nolan, Sofia Coppola und Quentin Tarantino. Der Vortrag darüber zeigte vor allem eins: Nur die Drehbücher der Regisseurin in dieser Stichprobe zeigen eine Dominanz weiblicher Dialoganteile. Aber nicht nur das: Der Gender-Gap ist bei Sofia Coppola auch geringer als bei Christopher Nolan und Quentin Tarantino (vgl. Abb. 1). Interessant ist aber auch, dass bei Nolan gar nicht alle Figuren entweder männlich oder weiblich gelesen werden können. Da auch Androiden vorkommen, gibt es einen gar nicht unerheblichen Dialoganteil von neutralen Figuren.

Abb. 1: Folie aus der Präsentation “sprechende Männer, schweigende Frauen”, die Redeanteile in jeweils 2 Filmen unterschiedlicher Regisseur*innen zeigt.

Jackie Brown. A comprehensive study of independence and presence of the main female character in Quentin Tarantino’s iconic film

Weiter ging es mit einer Präsentation aus derselben Projektgruppe, aber mit einem anderen Fokus und auch einer anderen Präsentationssprache, nämlich Englisch. Nun wurde ein Film von Quentin Tarantino genauer unter die Lupe genommen. Der Schwerpunkt lag inhaltlich auf der Betrachtung der Hauptfigur Jackie Brown. Methodisch wurden quantitative Ansätze mit qualitativen zusammengeführt. Mithilfe von Python und Java wurden auch hier die sprechenden Figuren identifiziert und ihr Anteil am Dialog berechnet. Zusätzlich wurden Szenenauftritte gezählt und die Art der Dialoge – z.B. in Bezug auf die Eigenständigkeit der Argumentation der weiblichen Figur – in einem Close Reading betrachtet. Fazit hier: Bei Jackie Brown handelt es sich um eine durchaus starke weibliche Figur, die sich durch eine hohe Eigenständigkeit auszeichnet.

Bedeutung und Darstellung von Frauenfiguren in Spielbergs Filmen

Zählt man die Hauptfiguren in 20 Drehbüchern von Steven Spielberg aus, so stellt man fest, dass der male-female Gender-Gap hier bei ungefähr 80:20 liegt. Schaut man sich den Dialoganteil weiblicher Figuren an, vertieft sich der Graben auf 86:14. Ist das normal? Nun, zumindest zeigt ein Vergleich mit den ähnlich bekannten Drehbuch-Autoren Quentin Tarantino und Stanley Kubrick, dass es nicht besonders ungewöhnlich zu sein scheint. Die 5 ausgewählten Drehbücher von Tarantino, die betrachtet wurden, zeigen einen Gap von ca. 70:30 zu Gunsten der männlichen Hauptfiguren. Bei Kubrik klafft die Schere weiter auseinander, nämlich in einem 83:17 Verhältnis. Der Anteil weiblicher Hauptfiguren ist also eh schon sehr gering und zusätzlich zeigt sich auch noch, dass diese weiblichen Hauptfiguren weniger sagen als die männlichen. Worüber aber wird gesprochen?

Obwohl von seiner Erfinderin im Nachhinein als Witz entlarvt (Anderson 2023), wird der Bechdel-Test (Bechdel 1986) in Filmanalysen häufig eingesetzt, um zu schauen, ob mindestens zwei Frauenfiguren in einem Film vorkommen, die miteinander sprechen, und zwar über etwas anderes als Männer. Was einfach klingt, erfordert doch einigen Aufwand, wenn man exakte Indikatoren für diesen Test in einem Drehbuch nachweisen möchte. Die Projektgruppe musste also die Ärmel hochkrempeln und hat gemeinschaftlich alle 20 Spielberg-Drehbücher ihrer Stichprobe manuell annotiert. Das Ergebnis zeigt, dass der spaßig gemeinte Bechdel-Test durchaus ernst zu nehmende Hinweise darauf liefern kann, wie stark männliche Figuren die Filme Spielbergs dominieren. Nur 25% der Drehbücher, also 5 aus 20 Filmen, bestehen den Test. 

Track 2: Dramen und Novellen

Frauenrollen in den Dramen Lessings

Von zeitgenössischen Filmen kommend, ging es nun weit zurück zu einem der einflussreichsten deutschen Dramatiker, nämlich zu Gotthold Ephraim Lessing. Die Projektgruppe, die diese Fallstudie ausgearbeitet hat, interessierte sich ebenfalls besonders für Genderfragen. Wenn Lessing schon das Drama seiner Zeit, also des ausgehenden 18. Jahrhunderts, so maßgeblich vorangebracht hat, kann man in seinen Dramen dann auch eine fortschrittlichere Repräsentation von Frauenfiguren erkennen? Nun, hier zeigt eine rein quantitative Analyse keine eindeutigen Trends. Zwar gibt es mit Miß Sara Sampson ein Drama Lessings, das mit 45:55 fast ein ausgeglichenes Verhältnis von weiblichen und männlichen Figuren aufweist. Nahe dran sind auch der Misogyn (43:57) und Damon oder die wahre Freundschaft (40:60). Dafür gibt es aber auf der anderen Seite auch Dramen in der Stichprobe, in denen ausschließlich Männerfiguren auftreten. Interessant ist aber auch wieder das Mittelfeld: Die meisten Dramen zeigen einen Gender-Gap, der zwischen 80:20 und 70:30 liegt. 

Themen der Schriftstellerinnen des Fin-de-Siècle, die in ihren Novellen dargestellt werden

Sowohl was den Gegenstand als auch das Erkenntnisinteresse angeht, kommen wir nun zu einem im Rahmen dieser Konferenz-Simulation ungewöhnlichen Projekt. Von der Projektgruppe wurde ein Themenkatalog nach Sach Sorg (2018) zusammengestellt, der Themen beinhaltet, die für Novellen der Fin-de-Siècle-Literatur als bedeutsam benannt wurden. Dieses Kategoriensystem umfasst die Themen:

  • Tod
  • Dekadenz
  • Erotik
  • Schwermut
  • Untergang

Besonders interessiert hat die Projektgruppe, wie diese Themen in Novellen von Schriftstellerinnen vertreten sind. Das 20 Novellen umfassende Korpus beinhaltet u.a. Texte von Lou Andreas-Salomé, Ricarda Huch, Marie von Ebner-Eschenbach und Isolde Kurz. In einem Close-Reading-Ansatz wurden alle 20 Novellen manuell annotiert, d.h. jede Novelle wurde sehr genau gelesen und dabei mit Anmerkungen versehen. So wurde offenbar, dass das Thema “Tod” in nahezu allen (19 von 20) Novellen vorkommt. Dennoch ist es in vielen Novellen nicht das dominante Thema. Die Todesthematik zeigt also eher eine Art Dauerpräsenz, während die Themen “Schwermut” und “Erotik” in weniger Novellen vorkommen, dafür aber eine stärkere thematische Dominanz zeigen. Die Themen Dekadenz und Untergang spielen in diesem Korpus eine eher untergeordnete Rolle. Das weibliche Schreiben in Novellenform beschäftigt sich um die Jahrhundertwende 1899/1900 dementsprechend viel mit den Themen “Tod”, “Schwermut” und “Erotik”. Ein Umstand, der auf den historischen Kontext zurückzuführen ist, in dem Frauen häufig Pflegeaufgaben übernommen haben? Um hier zu tieferer Erkenntnis zu gelangen, braucht es eine noch breitere Datenbasis, so eine der Schlussfolgerungen der Projektgruppe.

Track 3: Diskursanalyse

Stilanalyse politischer Reden der Fraktionen CDU/CSU, SPD, AfD und Bündnis 90/ Die Grünen

Ein weiterer Vortrag, der sich einem im Rahmen des Programms dieser Mini-Tagung eher ungewöhnlichen Thema widmete, zeigte eine stilometrische Analyse zeitgenössischer politischer Reden. Aus einem Korpus von über 4.000 Reden wurde eine Stichprobe von Texten genommen, die länger als 7.000 Wörter sind. Da die resultierende Sammlung deutlich mehr Reden der CDU/CSU enthielt als Texte der anderen Parteien, wurde in diesem Fall zusätzlich eine zufällige Auswahl getroffen, sodass am Ende pro Fraktion zwischen 11 und 40 Texte vertreten waren. Die Analyse zeigt vor allem eins: Politische Reden unterscheiden sich stilistisch nicht sehr stark voneinander. Einzig die Reden der AfD zeigen eine leichte Tendenz dazu, ein eigenes Cluster zu bilden, dem Rest der Stichprobe also unähnlicher zu sein (vgl. Abb. 2).

Abb. 2: Visualisierung der Stilanalyse politischer Reden als Multidimensional Scaling. Ähnliche Texte werden nah beieinander dargestellt. Achtung: Die Farbgebung entspricht nicht der CI der Fraktionen. Hier steht Rot für die AfD, blau für Bündnis 90/Die Grünen, grün für CDU/CSU und schwarz für SPD.

Track 4: Fanfiction

Digitale Analyse von Hobbit-Fanfiction

Die inzwischen transmediale Storyworld von Mittelerde fasziniert nicht nur viele Leser*innen und Kinofreund*innen, sondern inspiriert weltweit auch tausende Autor*innen von Fanfiction. Aber wie stark greifen Fans, die ihre liebsten Storyworlds schreibend erweitern, eigentlich in die Figurenkonstellationen ein? Dieser Frage war der letzte Vortrag unserer Seminar-Abschluss-Konferenz gewidmet. Wie weit die eigene Begeisterung für ein Thema auch einen Forschungsprozess vorantreiben kann, hat diese Projektgruppe besonders deutlich gezeigt: Zusätzlich zu J.R.R. Tolkiens Der Hobbit wurden insgesamt 28 abgeschlossene Fanfictions gelesen, um manuell die Figurenvorkommnisse für eine Netzwerkanalyse zu extrahieren – schließlich gibt es derzeit für die narrative Form dieses Genres noch keine standardisierte automatische Form der Netzwerkerstellung.

Das auf diese Weise entstandene Netzwerk des Hobbits zeigt eine besondere, für die Geschichte sehr typische Form: In der Mitte ballen sich die vergleichsweise zahlreichen Hauptfiguren der Zwergengemeinschaft mit Gandalf und Bilbo Beutlin. Um dieses “Haarknäuel” herum gruppieren sich weniger stark vernetzte Figuren (vgl. Abb. 3). Das Genderverhältnis dieses Narrativs ist ebenfalls ein besonderes: rund 97% der Figuren im Netzwerk sind männlich (sehr schwach vernetzte Figuren, die weniger als 5 Verbindungen aufweisen, wurden nur in Ausnahmen ins Netzwerk übernommen). 

Abb. 3: Netzwerkvisualisierung von Figuren aus J.R.R. Tolkiens Hobbit, die mit mindestens 5 anderen Figuren vernetzt sind (eine Ausnahme bildet hier Gollum, der wenig vernetzt, aber für den Plot dennoch unverzichtbar ist).

Dieses Muster einer stark vernetzten Protagonisten-Gruppe ist es auch, was die meisten Fanfictions der Stichprobe übernehmen. Allerdings bezieht es sich nicht unbedingt auf dieselben Figuren. Original Tolkien-Figuren rücken an den Rand. Die sogenannten Self-Inserts, Charaktere, die die Autor*innen der Fanfiction einfügen, nehmen ihren Platz ein. Auffällig ist auch, dass der eklatante Gender-Gap von 97:3 nicht übernommen wird. Stattdessen bringen die Fans mehr weibliche Charaktere nach Mittelerde. Die Fanfiction The Forest Queen z.B. verändert das male-female-Genderverhältnis auf rund 75:25 (vgl. Abb 4.). 

Abb. 4: Netzwerkvisualisierung der Figuren der Fanfiction The Forest Queen

Same same but different

In ihrer Vielfalt zeigen die vorgestellten Projektarbeiten einerseits, wie bunt die Digital Humanities in Regensburg sind und andererseits wie breit gestreut die methodischen Zugänge sein können. Dennoch wurde auch sichtbar, wie durch ganz unterschiedliche Fallstudien ein vergleichendes Bild von einem Thema wie z.B. dem des Gender-Gap entstehen kann. Indem immer wieder der Versuch unternommen wurde, auf die eine oder andere Weise explizit zu machen, wie groß genau der Gender Gap in kulturellen Erzeugnissen wie Filmen, Erzähltexten und Dramen ist, entstand ein Eindruck davon, wie die generelle Tendenz hier aussieht.

In den meisten betrachteten Gegenständen, seien diese nun historisch oder zeitgenössisch, zeigt sich ein Verhältnis von 80:20 – 70:30 zugunsten von Männerfiguren und deren Redeanteilen. Ebenso gab es aber bereits im 18. Jahrhundert Ausnahmen von diesem Muster (die in beide Richtungen ausschlagen). Dass die allseits so beliebte Storyworld des Hobbits, obwohl zeitgenössisch, ein Ausreißer ist, in dem die Dominanz männlicher Figuren extrem stark ist, mag dabei genauso überraschen wie die Einsicht, dass Autor*innen von Fanfiction dieses Verhältnis auch nicht zu einer Ausgewogenheit bringen. Stattdessen steht am Ende wieder ein typisches 75:25-Verhältnis. Vor diesem Hintergrund strahlen ganz besonders die Drehbücher der Regisseurin Sofia Coppola. Die einzigen Quellen in all diesen Projektarbeiten, in denen es eine Dominanz weiblicher Figuren in einem 40:60 Verhältnis gibt.

Auf diese Weise beschließen wir ein sehr produktives Wintersemester des M.A. Digital Humanities in Regensburg. Die vorgestellten Fallstudien zeigen auf eindrückliche Weise, wie produktiv eine enge Zusammenarbeit zwischen Studierenden unterschiedlicher Fachbereiche sein kann. Denn jedes der Projektteams war aus Studierenden aus mindestens drei unterschiedlichen Fachbereichen zusammengesetzt. Trotz des Fokus auf ein bestimmtes Thema waren also immer mindestens drei Perspektiven involviert. Und bei so einem spannenden Output wie dem auf dieser Semester-Abschluss-Tagung gezeigten, kann man natürlich sicher sein, dass wir auch weiterhin gemeinsam und fachübergreifend die Digital Humanities erkunden werden. 

Literaturangaben

Anderson, H. (2023) ‘Alison Bechdel: “The Bechdel test was a joke… I didn’t intend for it to become a real gauge”’, The Observer, 2 July. Available at: https://www.theguardian.com/books/2023/jul/02/alison-bechdel-test-dykes-to-watch-out-for-cartoonist-interview (Accessed: 12 February 2024).

Bechdel, A. (1986) Dykes to watch out for. Ithaca, New York: Firebrand Books. Available at: https://archive.org/details/dykestowatchoutf00bech (Accessed: 12 February 2024).

Sorg, Reto. 2008. „Kurze Prosa“ in: Haupt, Sabine/Würffel, Stefan Bodo (Hg.) Handbuch Fin de Siécle. Stuttgart : Kröner. S. 369-414.

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